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Absturz im Nebel Ein Beitrag von Jürgen Constien |
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Es war ungemütlich an diesem Freitag
Mittag. Den ganzen Tag war kein einziges Mal die Sonne zu sehen gewesen.
Dafür hingen die Wolken sehr tief, der Rauch der mehr als 100 Meter hohen
Schornsteine auf dem Werksgelände in Knapsack zog nicht ab, es nieselte
schon seit dem Morgen und die Temperatur kam nicht über 2 Grad. Seit Tagen
sank das Thermometer und die Vorhersage für das Wochenende stimmte auch
niemanden glücklich. Ein typischer schmuddeliger Wintertag. Die Menschen in Hürth blieben am 27. Januar 1939 lieber im Haus und bereiteten das Mittagessen vor, sie dachten an den bevorstehenden Schichtwechsel im Goldenberg-Kraftwerk oder an den Kegelabend kommenden Samstag. Manch einer freute sich sicher auch auf den Besuch des Schwimmbades. Nur nach draußen wollte keiner freiwillig. Selbst die sonst so vertrauten Geräusche der Villebahn waren nur leise zu vernehmen. Der Nebel schluckte alles. Die Stille wurde nur durch das tiefe Brummen der beiden jeweils 900 PS starken Sternmotoren der Linienmaschine aus Paris durchbrochen. Wirklich wahr nahm dieses Brummen aber kaum jemand. Der Liniendienst Berlin – Köln - Paris mit jeweils einem täglichen Flugzeug der damaligen Luft Hansa AG (ab 1933 Deutsche Lufthansa AG) und der Air France aus beiden Hauptstädten wurde schon 1926 eingeführt. Und das Brummen war seitdem Bestandteil des täglichen Lebens. Dieser zunächst leise, noch aus der Ferne beginnende, immer lauter und dann, wieder leiser werdend, vollends in Alltagsgeräusche übergehende sonore Ton. Der Flieger war auf dem Weg zur Zwischenlandung auf dem nahen Flughafen Butzweilerhof in Köln-Ossendorf. Aber auch darüber wunderte sich schon lange keiner mehr, starteten und landeten dort doch mittlerweile jeden Tag weit mehr als 50 Maschinen.
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Ab 1936 erweitert und modernisiert, wurde der Flugplatz Butzweilerhof in Köln immer wichtiger für die stark zunehmende zivile Luftfahrt in Europa und avancierte schnell zum zweitgrößten Flughafen Deutschlands nach Berlin-Tempelhof und zum Luftdrehkreuz des Westens. Nur Nebel und Unwetter brachten in der Regel den Takt der landenden und startenden Maschinen durcheinander.
Mit über einer Millionen Flugkilometern und mehr als 7.000 Flugstunden gehörte er zu den erfahrensten Piloten der Air France und Frankreichs. Sogar in einem Kinofilm hatte er schon mitgespielt. „Serge Panine“ war gerade vor ein paar Tagen angelaufen und er dürfte gespannt gewesen sein, wie erfolgreich der Film in den französischen Kinos sein würde. Die Potez 62, auf den Namen „Courlis“ (Brachvogel) getauft, als sie einige Jahre zuvor in Dienst gestellt wurde, hatte eine Reichweite von rund 1.000 Kilometern und die Tanks waren vermutlich noch gut gefüllt. An Bord befanden sich lediglich sechs Personen, womit das Flugzeug leicht und einfach zu manövrieren war. Einen Grund zur Sorge dürfte der Pilot somit nicht gehabt haben, als er auf weitere Anweisungen des Flughafens wartete. Tellet-Larente und seine drei Kollegen der Besatzung, der Kopilot Jean Pierre Pain, der Funker René Harrault sowie der Flugingenieur Guy Barranton freuten sich sicher einfach auf die bevorstehende Pause am Flugplatz vor dem Weiterflug nach Berlin. Bisher deutete alles auf reine Routine hin. Und die beiden Passagiere Michael Bulachowski(1) und Raoul Civet in der sonst mit bis zu 16 Personen gefüllten Flugzeugkabine konnten bei diesem Wetter beim Blick aus dem Fenster sicher nicht viel erkennen. Für diesen Tag war auch keine bessere Sicht mehr auf Köln, Rhein und Dom zu erwarten. Raoul Civet war Korrespondent der französischen Agentur Havas und Chefredakteur der Zeitung Le Petit Dauphinois in Grenoble. Er dürfte sich mehr mit der für Montag, den 30. Januar in Berlin bevorstehenden traditionellen Rede des Reichskanzlers Adolf Hitler zur Machtergreifung in Deutschland beschäftigt haben als mit dem aktuellen Wetter. Denn diese Rede war der Grund seiner weiten Dienstreise von Grenoble über Paris nach Berlin(2). Das Verhältnis zwischen den beiden Staaten war alles andere als gut zu bezeichnen und seine Artikel über die aktuelle Situation in Europa wurden geachtet. Dies dürfte der Grund dafür gewesen sein, dass Raoul Civet, gleichzeitig Präsident des Journalistenverbandes der Region Dauphiné-Savoie, über die Rede Hitlers berichten sollte. Doch vorerst kreiste die Maschine mit den sechs Insassen erst einmal weiter, in Wolken gehüllt, über dem still und verborgen liegenden Westen Kölns und den angrenzenden Gemeinden. Gegen 12.20 Uhr - das Werksgelände in Knapsack war ebenfalls in dichten Nebel gehüllt – hörten die Mitarbeiter plötzlich erneut das nun immer näher kommende und bedrohlich lauter werdende Brummen der Flugzeugmotoren, das dann jedoch so schnell erstarb, wie es gekommen war.
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Das Unfassbare war in diesem Moment geschehen: Die Maschine der Air France war in rund 80 m Höhe ausgerechnet gegen einen der sonst weithin sichtbaren Schornsteine der damaligen AG für Stickstoffdünger in Knapsack geprallt. Der Flugzeugrumpf stürzte zu Boden, eine Tragfläche durchbrach das Wellblechdach eines nahegelegenen Schuppens und ein Motor durchbohrte den Schornstein und hinterließ ein tiefes Loch. Die an Bord befindlichen Passagiere und Besatzungsmitglieder hatten keine Chance und konnten nur noch tot geborgen werden(3). Auf dem Gelände selbst wurde, wie durch ein Wunder, niemand verletzt.
Schon am selben Tag wurde in Europa über das Unglück berichtet. Viele Zeitungen schrieben in den folgenden Tagen Artikel über das Geschehene und würdigten mit kurzen Biografien die Verdienste des Piloten Tellet-Larente bzw. des Chefredakteurs Civet(4) . Abstürze ziviler Flugzeuge waren zu dieser Zeit allerdings öfters zu beklagen und das Interesse der Leser hielt sich vermutlich in Grenzen. Deshalb kehrte auch schnell wieder Ruhe in den Medien ein. Anders als es die überlieferten Zeitungsberichte vermuten lassen, war die Anteilnahme in den Belegschaften der Knapsacker Werke und der Hürther Bevölkerung groß. Bevor die Opfer überführt wurden, erfolgte drei Tage nach dem Unglück in Knapsack eine feierliche Trauerfeier mit zahlreichen Teilnehmern, um der Toten zu gedenken. In der Chronik des damaligen Männergesangvereins Eintracht aus Knapsack, der an der Ausrichtung der Feierlichkeiten beteiligt war, ist das Geschehen festgehalten(5): „...Die Leichen wurden in der Leichenhalle Knapsack aufgebahrt. Bei der Trauerfeier sang der M.G.V. Eintracht: Da unten ist Frieden im dunklen Haus, da schlummert der Müde, da ruht er aus. Und schlief er im Schimmer des Abend [sic!] ein, es wecket ihn nimmer der frühe Schein...“(6)
______________________________________________________________________ „Air France Generaldirektion Paris, 8. Februar 1939 Meine Herren! Unsere Direktion, Abteilung Festland, hat uns soeben von dem Anteil Mitteilung gemacht, den Sie an der Feier am 30. Januar in Knapsack, gelegentlich der Einsegnung der Opfer des Unglücks unseres Apparates der Linie Paris – Berlin, hatten. Wir möchten Ihnen all unseren Dank aussprechen und möchten Sie wissen lassen, wie ergriffen wir waren über all die Beweise der Freundlichkeit und des Mitgefühls, die dort zum Ausdruck gebracht wurden. Wir bitten Sie, meine Herren, den Ausdruck unserer ausgezeichneten Hochachtung entgegen zu nehmen. Air France Unterschriften“ ______________________________________________________________________ Im April erhielt die Leitung der RWE in Knapsack ebenfalls ein Schreiben, diesmal vom Verleger der Zeitung Le Petit Dauphinois aus Grenoble (8). Dieser Brief liegt leider nicht im Original vor; allerdings berichtete der damalige „Westdeutsche Beobachter“ aus Köln mit einem kleinen Artikel hierüber. Er befindet sich ebenfalls in der Chronik des Männergesangvereins Eintracht und enthält den Wortlaut des Briefes: ______________________________________________________________________ „Gestatten Sie mir, Ihnen meinen aufrichtigen Dank auszusprechen, um so mehr, da mich die Teilnahmebezeugung der deutschen Bevölkerung besonders berührt hat und ich mich deshalb verpflichtet fühle, im Namen der Hinterbliebenen meines Mitarbeiters, Chefredakteur Raoul Civet, und auch in meinem eigenen Namen die Bezeugungen des allgemeinen Mitgefühls in den überstandenen schmerzlichen Stunden zum Ausdruck zu bringen.“ ______________________________________________________________________ Mit dieser Notiz in der Chronik des M.G.V. Eintracht enden die Aufzeichnungen zum Unglück in Knapsack. Die Hürther selbst dürften noch eine Zeitlang über das Geschehene gesprochen haben - bis die Erinnerungen aufgrund anderer, neuerer Ereignisse verblassten und dann gänzlich in Vergessenheit gerieten. Etwa einen Monat nach dem Unglück wurde den vier Besatzungsmitgliedern der Air France und dem Chefredakteur der Zeitung Le Petit Dauphinois in Frankreich öffentlich für ihre herausragenden Leistungen mit der posthumen Verleihung des „l'ordre de la nation“ gedankt(9). Diese Ehrenbezeugung ist in Deutschland in etwa mit der heutigen Verleihung des Bundesverdienstkreuzes zu vergleichen. Der tägliche Einsatz ziviler Flugzeuge auf der Strecke Berlin – Köln – Paris durch die Lufthansa AG und die Air France lief weiter, bis rund acht Monate nach dem Unglück der 2. Weltkrieg ausbrach. Der Liniendienst wurde eingestellt und die Hürther mussten sich, genauso wie ein Großteil der Menschen in Europa und weltweit, in den folgenden Jahren an ein anderes, neues und deutlich gefährlicheres Brummen von Flugzeugen gewöhnen. Doch das ist eine andere Geschichte! Der Flugplatz Butzweilerhof in Köln-Ossendorf kam unter militärische Verwaltung, wurde in „Einsatzhafen E11/VI“ umbenannt und fortan von der Wehrmacht (Luftwaffe) u.a. als Notlandeplatz und Reparaturwerft weiter genutzt. Nach dem Krieg blieb der Flughafen 20 Jahre Standort der britischen Royal Air Force, bevor die Bundeswehr 1965 das Flugfeld übernahm. Parallel zum militärischen Teil wurde der Butzweilerhof seit Mitte der 50er Jahre auch Heimat von Motorsportflugzeugen und Segelfliegern, bis etwa 1980 auch dieses Kapitel endete. Ebenso nutzten die belgischen Streitkräfte einen Teil des Flughafens. Mitte der 2000er Jahre war dann endgültig Schluss mit dem Betrieb am Flughafen Butzweilerhof. Heute erinnern nur noch die unter Denkmalschutz stehenden ehemaligen Flughafengebäude in der Nähe eines großen schwedischen Möbelhauses an die Anfänge der zivilen Luftfahrt der 20er und 30er Jahre des vorherigen Jahrhunderts. Von dem Flugzeugunglück auf dem Werksgelände in Knapsack vor nunmehr 80 Jahren gibt es heute in Hürth keine Spuren mehr. Nachwort: Am 30. Januar 1939, dem Tag der Trauerfeier für die Opfer des Absturzes in Hürth, drohte Adolf Hitler in seiner berüchtigten Rede in Berlin zum sechsten Jahrestag der Machtergreifung in Deutschland mit Krieg und der „...Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“(10). Raoul Civet blieb es durch tragische Umstände verwehrt, darüber zu berichten. Anmerkung: Dieser Aufsatz ist erstmalig in den Hürther Beiträgen 97 (2018) des Heimat- und Kulturvereins Hürth erschienen. |
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Quellen und Anmerkungen: (1) – Michael Bulachowski, geb. 1889 in Charkow, Russland war Geschäftsführer und wohnte in Zoppot in der Nähe von Danzig. Mehr ist über ihn leider nicht bekannt. (2) – vgl. Ahnenseite von Alexandre A. Tellet-Larante unter https://gw.geneanet.org/gtelletlarente?lang=en&n=tellet+larente&oc=0&p=alexandre+andre hier: http://calm.sopixi.fr/files/paris-berlincalm.pdf - Le crash de l'avion Paris-Berlin, le 27 janvier 1939 und L'Action Francaise, Paris (F) vom 31. Januar 1939 (3) - vgl. Chronik des MGV Eintracht, Hürth-Knapsack, Archiv der Stadt Hürth, Sig. 3.52.01 und Todesanzeigen zum Unglück, Archiv der Stadt Hürth, Sig. 2.26.371 (4) – vgl. Le Figaro, Paris vom 28.01.1939; Le Petit Journal, Paris, vom 28.01.1939; Le Midi, Toulouse vom 28.01.1939; Dernière Heure, Paris vom 28.01.1939; Paris soir, Paris vom 29.01.1939; La Dépeche du Berry, Bourges vom 29.01.1939; La Liberte, Fribourg (CH) vom 28.01.1939; De Masbode (NL) vom 27.01.1939 (5) – Hier differieren die vorhandenen Berichte der damaligen Zeit: In der Chronik des M.G.V. Eintracht sind 5 Todesopfer vermerkt; in allen anderen Berichten wird von 6 Opfern gesprochen. Auch die im Archiv der Stadt Hürth aufbewahrten Todesanzeigen vermerken 6 Todesopfer. Da in einem Bericht auch die Rede davon ist, dass eine Person schwer verletzt geborgen wurde und später seinen Verletzungen erlag, ist die Vermutung naheliegend, dass ein Todesopfer nicht bei der Trauerfeier in Knapsack aufgebahrt wurde und deshalb in der Chronik von 5 Opfern gesprochen wird. (6) – vgl. Grabgesang „Da unten ist Friede im dunkeln Haus“ entstanden etwa Mitte des 19. Jahrhunderts, Text: Carl Sauppe, Musik: Carl Kloß (1792 – 1853) (7) – vgl. Schriftwechsel des M.G.V. Eintracht, Archiv der Stadt Hürth, Sig. 3.52.30 (8) – der Name des Verlegers der Zeitung Le Petit Dauphinois wurde in dem Zeitungsartikel leider nicht erwähnt. (9) – vgl. Journal officiel de la Republique francaise, Paris vom 02.03.1939 und Journal des politiques et litteraires, Paris vom 18.02.1939. (10) – vgl. „Als Hitler den Massenmord prophezeihte“, Die Zeit (Nr.5/1989), Hamburg vom 27.01.1989 |
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weitere Quellen: Aviation Safety Network - https://aviation-safety.net Historisches Luftfahrtarchiv Köln - www.luftfahrtarchiv-koeln.de www.kachelmannwetter.de Kölner Stadtanzeiger |
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